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Ich stehe auf, Zähne putzen, dann ins Büro
von Falk Osterloh
Veröffentlicht 2006 in der Anthologie „Raus aus der Stadt“ im Satyr Verlag
Der Wecker klingelt um sechs. Ich öffne die Augen. Es ist früh. Die Leute sagen, man
gewöhnt sich an das frühe Aufstehen. Das muss man in Kauf nehmen. Die Sonne
steht schon am Himmel. Sie musste noch früher raus. Das Licht liegt auf meinem
Gesicht, doch es wärmt mich nicht. Ich bin nicht ausgeschlafen, so viel steht mal fest.
Aber ich stehe auf. Man hat nun mal Pflichten im Leben. Der Alltag ruft. Mit jedem
Tag höre ich ihn lauter, seine Stimme wird klarer, sie ist so durchdringend und scharf,
dass ich sie schon am Vorabend höre, beim Feierabendbier, beim Fernsehen. Vielleicht
sollte ich es einmal mit Oropax versuchen. Ich stehe auf, gehe ins Badezimmer. Mein
Körper führt den täglichen Ablauf von selbst aus, jahreslanges Training, und ich kann
mich schon einmal auf die Aufgaben konzentrieren, die vor mir liegen. Ich habe mir
in meinem Kopf einen Kalender eingerichtet, so ähnlich wie der im Palm Pilot. 7:30
Büro. Unterhaltung mit der Sekretärin, freundliches Lächeln, hat sie noch mehr
abgenommen? 7:35 Nochmal Präsentation durchgehen, hab ich gestern Abend schon
gemacht, aber es kann nicht schaden. 7:45 Michi kommt in mein Büro, ein paar
schlüpfrige Witze, er erzählt von seinen Abenteuern am Wochenende. Wir lachen. 7:50
Michi klopft mir auf die Schulter, verlässt das Büro. 8:00 Chef kommt rein.